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Pseudonym der Ehre.

Um die Verwirrung endgültig auf die Spitze zu treiben, gesellt sich zum Anglizismus stepout, der startseitlich auf dieser Website seine ausführliche Erklärung findet, nun auch noch ein gewisser Anton. Ein Anton, der noch dazu schreibt. Wer ist das und was schreibt er? Und wo kommt er auf einmal her? Nun, die Frage ist einfach zu beantworten. Anton kommt nicht einfach irgendwo her, er war immer schon da. Er ist ein Teil von mir und meiner Familie. Und das nicht zuletzt deshalb, weil es mein zweiter Vorname ist. Es ist aber auch (oder in erster Linie) der Name meines, leider viel zu früh verstorbenen Papas.

Wir schreiben den 24. Mai 1999. Venezuela tritt dem Antarktisvertragssystem bei und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erhebt Anklage gegen den Präsidenten der Republik Serbien, Milan Milutinović, wegen Verfolgung der Kosovo-albanischen Zivilbevölkerung. Die Welt strebt der Jahrtausendwende entgegen. Manche fürchten einen kompletten Ausfall aller elektronischer Systeme, wenn der letzte Sekundenschlag das neue Millenium einläuten wird. Die meisten aber freuen sich auf ein spannendes neues Zeitalter, mit vielen Herausforderungen und Abenteuern für die Menschheit. Nicht alle sollten es erleben.

Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, im Wiener Jargon immer liebevoll die Hohe Warte genannt, beschreibt das Wetter an diesem Frühlingstag als sonnig und trocken. Ein Wetter, das sich ideal zum Rasenmähen anbietet. Und das tut er dann auch, der Anton Haitszinger. In gewohnter Manier zieht er Linie für Linie durch seinen langgestreckten Garten. Seinen geliebten, langgestreckten Garten. Das Gerät rattert durchs knöchelhohe Grün. In der Luft verbreitet sich eine Duftmelange aus Benzin und frisch gemähtem Gras. Ohne auch nur einen einzigen Zweifel daran zu hegen, behaupte ich hier, dass er in diesem Moment glücklich und zufrieden war. Weil er das einfach immer war, wenn er Zeit in seinem Garten verbrachte und vor allem, wenn er seine Familie um sich hatte. Nach getaner Arbeit stellte er seinen Mäher ab, um nur wenige Augenblicke später für immer seine Augen zu schließen. Hinterwandinfarkt. Angeblich keine Überlebens- oder Reanimierungschance. Alle tapferen Versuche, ihn am Leben zu halten oder dorthin zurück zu holen, scheiterten. Der Vorteil der ruhigen und etwas entfernten Lage unseres (zumindest bis zu diesem Tage noch achso) geliebten Stückchen Gründlandes zwischen Jedlersdorf und Strebersdorf, sollte sich auch für die zu Hilfe gerufenen Einsatzkräfte als zeitraubende und schwierige Ortungsaufgabe herausstellen. Alles in allem keine guten Vorzeichen, um dem Rufe des lieben Gottes an diesem warmen Maitag zu entkommen. Mein Schwager, der meinen Papa im Fallen noch stützen wollte – und wohl der aktivste und engagierteste Ersthelfer war – meinte, dass er noch so etwas wie einen leichten Händedruck verspürte und, dass Sanftheit in seinem Blick lag. „Ich trau auf deine Hand, daß sie mich wohl behüte.“

Ich selbst war nicht da. Erst einige Zeit später, kurz bevor man ihn holte, war ich mit meiner Frau vor Ort. Wir sahen ihn unter diesem weißen Leinentuch liegen. Alle waren fassungslos. Sprachlos. Orientierungslos. Keiner wusste, was hier geschehen war. Wie sollte es weitergehen? Ohne ihn, dem Familienoberhaupt. Dem Ehemann. Dem Vater. Dem Opa. Dem Richtungsweiser. Ohne den, der Rat auf alles wusste, der immer für alle da war, der alles richten konnte. Er war unser Fels in der Brandung. Und jetzt war er tot. Für immer weg. Ich blickte mich um und sah nur Angst und Verzweiflung. Bestürzung und Ohnmacht. Viele von uns haben diesen Schock bis heute nicht überwunden. Und auch bei mir vergeht fast drei Jahrzehnte danach kaum ein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Wie auch, sehe ich ihn doch jeden Tag im Spiegel. Höre ich jedes Mal seine Stimme wenn ich spreche. Viel zu ähnlich sind wir uns, um ihn aus meinem Kopf zu kriegen. Haare, Gestik, Mimik, Humor – alles nahezu deckungsgleich. Was uns aber wirklich eint, ist unser Familiensinn. Die Art und Weise wie wir Familie leben und verstehen. Die Suche nach dem Sinn des Lebens war in unserer Familie nicht einmal ansatzweise Thema. Zu klar war, dass die Liebe der Familie als unerschütterlicher Grundstein und wichtige Basis für alles galt. Es lässt sich nicht abstreiten, dass sich Vieles von seinem Wesen und seinen Werten eins zu eins in meiner DNA wiederfindet. Und das ist gut so.

Seine vielen Geschichten, mit denen wir Kinder aufwachsen durften, haben unser Leben geprägt und uns alle auf den richtigen Weg geführt. Obwohl wir nicht viel hatten, mangelte es uns an nichts. Dafür sorgte er. Alles was in seiner Jugend, weil Zeit und vor allem Geld fehlten, an Bildung nicht möglich war, machte er mit Intelligenz wett. Wie kein Zweiter erfasste er komplexe Sachverhalte sofort, interessierte sich für politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und agierte immer mit Vernunft und Hausverstand. Er war stark wie ein Büffel, was uns zudem immer die so notwendige Sicherheit und Geborgenheit gab. Gleichzeitig war er einfühlsam und sensibel. Als mein Bruder einmal in Ungarn in einen schweren Autounfall verwickelt war und mein Papa, weil sein Reisepass abgelaufen war, nicht über die Grenze durfte, musste ich – als achtzehnjähriger Führerscheinneuling – alleine mit meiner Mutter weiterfahren. Sein trauriges Gesicht, das ich immer noch in diesem Rückspiegel sehe, während wir losfuhren, werde ich niemals in meinem Leben vergessen. All der Schmerz, der ihn in dieser Sekunde quälte, nicht zu seinem Kind zu dürfen und ihm helfen zu können, lag in diesem verzweifelten Blick. Und die Tränen, die jetzt gerade auf meine Tastatur tropfen, zeigen mir, dass dieser Moment immer noch so lebendig und gegenwärtig ist, als wäre es gestern gewesen.

Als eine Art Pseudonym der Ehre sehe ich es heute an, unter anton.schreibt schreiben zu dürfen. Und in jeder Zeile, die ich heute zu all den Themen, die mir wichtig sind, die mich beschäftigen und antreiben, schreiben darf, schwingen jedenfalls Respekt und Dankbarkeit meinem Papa gegenüber mit. Es ist schön, ihn auf diese Weise in meinem und den Herzen meiner Familie lebendig zu halten. Und man darf versichert sein, dass in jedem einzelnen Wort auch seine Handschrift zu finden ist.

Annette von Droste-Hülshoff, die ebenfalls an einem 24. Mai verstarb, schrieb:
„Ich trau auf deine Hand, daß sie mich wohl behüte, weil alle deine Güte, und Liebe mir bekannt,
und daß ein sich´rer Hort das Unheil von mir wende. O Herr, in deine Hände! Dies sei mein letztes Wort.“